Sonnige Naturkunde
Burgenland-Trilogie (I): Den Auftakt macht ein Streifzug im Nationalpark Neusiedler See
Von Günther Koch/Life-Magazin
Natur pur: Aussichtsturm im Schilfgrasgürtel am Neusiedler See. Foto: Koch
Illmitz – Auf der Autobahn vor Wien rechts ab und am Flughafen Schwechat vorbei südöstlich Richtung Budapest. Im Burgenland, der „Sonnenseite Österreichs“, scheint es, als schalte das Leben auf einmal zwei, drei Gänge zurück. Wir lassen uns ein – auf das Ruhige, Stille, auf das eher Gemächliche in der Region rund um den Neusiedler See.
Wenn’s regnet, dann meist nur im Fernsehen
Unser Begleiter zieht seinen Strohhut auf, schultert sein Spektiv. „Ohne ein Beobachtungsfernrohr“, sagt der Mann vom Informationszentrum des Nationalparks Neusiedler See/Seewinkel in Illmitz, „geht eigentlich nichts.“ Es ist heiß an diesem Tag im August. „Bei uns“, stützt der Burgenländer dabei durchaus die „300 Sonnentage im Jahr“, mit denen Österreichs östlichstes Bundesland wirbt, „regnet es meist nur im Fernsehen.“
In einem Grenzraum der verschiedensten Arten
Fern sehen? Im natürlichen Sinn, etwa mit Hilfe eines Spektivs, in jedem Fall. Denn was hier in der pannonischen Ebene zwischen Puszta und Alpen rund um den westlichsten Steppensee Europas zählt, ist vor allem die Natur. Das Gebiet nennt Lang nicht nur aus geografischer, sondern auch aus biologischer Sicht einen „Grenzraum, in dem Pflanzen- und Tierarten aus den verschiedensten Regionen zu finden sind“. Aus alpinen, pannonischen, asiatischen, mediterranen, aus nordischen. Für den Nationalpark-Kenner ein „Reichtum, der freilich ohne die Vielfalt an Lebensräumen wie Feuchtgebiet, Weidefläch, Wiesen, Trockenrasen, Sandsteppen-Areale und Salzstandorte nicht möglich wäre“.
Ein ständiger, immer im Wandel begriffener Prozess
Wir gehen hinaus in die Ebene und in den Park, der sich in die Zitzmannsdorfer Wiesen, die Illmitzer „Hölle“, Sandeck/Neudegg, „Lange Lacke“ und, schon auf ungarischem Territorium, den Waasen/Hanság unterteilt. In der Naturzone findet keinerlei Nutzung statt, in der Bewahrungszone ist Natur auch für Besucher über ein Leitsystem erlebbar. „Es gilt das Wegegebot“, sagt unser Begleiter. Was bedeutet, dass das Betreten der Wiesen, Wasser- und Schilfflächen streng verboten ist. Von unserem Standort aus können wir im Westen die Ausläufer der Ostalpen sehen. Im Norden grenzt die Parndorfer Platte an, im Osten das frühere Hanság-Niedermoor. „Bis vor wenigen Jahrhunderten ist es noch ein Teilbecken des Neusiedler Sees gewesen“, erklärt der Experte: „Das alles hier ist eben ein ständiger, immer im Wandel begriffener Prozess.“
An der tiefsten Stelle der Ebene in einer Art Wanne
Der im Schnitt nur einen Meter tiefe Seichtsee, dessen Südteil zusammen mit den salzigen, periodisch austrocknenden Lacken den Hauptlandschaftsanteil am Nationalpark bildet, während Reste des Weidelands, Wiesen und ehemalige Acker- oder Weinbauflächen den Kulturlandschaftsanteil prägen, liegt an der tiefsten Stelle der Kleinen Ungarischen Tiefebene in einer Art Wanne, die keinen Abfluss hat.
Lange Vegetationszeit durch günstige klimatische Bedingungen
Das ganze Becken umfasst heute rund 320 Quadratkilometer, von denen knapp 180 auf den Schilfgürtel rundherum entfallen. Niederschläge und Verdunstung bestimmen den Wasserhaushalt. Das Klima ist leicht kontinental geprägt. „Die Sommer sind bei uns trocken und heiß, sie wechseln mit kalten, schneearmen Wintern.“ Die Region ist eine der wärmsten und mit einer Niederschlagsmenge von gerade einmal 600 Millimetern im Jahr zugleich eine der trockensten Landschaften Österreichs. „Durch die günstigen klimatischen Bedingungen“, klärt der Naturfreund auf, „ist aber eine ziemlich lange Vegetationszeit von rund 250 Tagen gegeben.“
Auf dem Weg zwischen Winterquartier und Brutplatz
Wir steigen in einen hölzernen Aussichtsturm hinauf. „Da“, sagt unser Begleiter, „können sie die unterschiedlichsten Vögel sehen.“ Mehr als 300 Arten sind es, die im Jahresverlauf das Gebiet des Neusiedler Sees als Rast- und Fressplatz nutzen. „Etwa 150 davon brüten auch hier.“ Die internationale Bedeutung dieses einzigartigen Naturraums wird auch auf die „unverzichtbare Funktion für den europäisch-afrikanischen Vogelzug“ zurückgeführt: „Hier rasten, fressen oder mausern abertausende Zugvögel auf ihrem Weg zwischen Winterquartier und Brutplatz.“
Vom Baumfalken bis zum Steppenfrostspanner
Das Nahrungsangebot in der gesamten Region zieht sie alle an: Baumfalke, Bläßgans, Blaukehlchen, Brachvogel, Enten, Graugans, Großtrappe, Kiebitz, Kornweihe, Löffler, Neuntöter, Rauhfußbussard, Rohrweihe, Rotschenkel, Reiher, Saatgans, Säbelschnäbler, Schwarzkehlchen, Seeadler, Seeregenpfeifer, Seeschwalbe, Storch, Strandläufer, Sumpfohreule, Uferschnepfe, Wachtel, Waldkauz. In vegetationsärmeren Uferbereichen sollen sogar Südrussische Tarantel-Wolfsspinne und Mondhornkäfer leben, in manchen Wiesenabschnitten sich mit dem Steppenfrostspanner eine Schmetterlingsrarität tummeln.
Vom Wiesenotter bis zum Sumpfknabenkraut
Wiesenotter, Hamster, Ziesel und Steppeniltis sind hier zu Hause. Es gibt Wasserbüffel. Die Beweidung mit Weißeseln dient der Biotop-Pflege am sandigen Seedamm. Ungarische Graurinder und Zackelschafe helfen, landseitig die Ausbreitung des Schilfs zu unterbinden. Im Seevorgelände grasen asiatische Przewalski-Wildpferde. Rehe, Hirsche, Wildschweine suchen tagsüber sichere Deckung. Zu botanischen Kostbarkeiten zählen Stengelloser Tragant, Federgras, Zwergiris, Österreichischer Salbei, Wasserschwertlilie, Moorglanzstengel, Grauaster, Lungenenzian, Prachtnelke, Meerstrand-Wermut, Kampfer-, Sumpfknabenkraut.
Vom Hecht bis zur Zauneindecke
Heckt, Brachse, Güster, Kaulbarsch, Laube, Wels, Wildkarpfen, Zander bevölkern den See, Amphibien wie Balkan-Moorfrosch, Donau-Kammmolch, Erdkröte, Laubfrosch, Knoblauchkröte, Rotbauchunke Seefrosch, Springfrosch, Teichfrosch, Teichmolch, Wasserfrosch, Wechselkröte sowie Reptilien wie Smaragdeidechse, Ringelnatter, Waldeidechse, Würfelnatter, Zauneidechse den Schilfgürtel und die Uferbereiche. Wird es ruhig, still und eher gemächlich um einen herum, kann selbst eine Naturkundestunde wie diese ein Erlebnis sein.
Info Burgenland I
Das rund 284 000 Einwohner zählende Burgenland ist das kleinste und östlichste Bundesland Österreichs. Slowakei, Ungarn, Slowenien, Steiermark und Niederösterreich grenzen an. Landeshauptstadt ist Eisenstadt. Der Name Burgenland erinnert daran, dass das Land aus Teilen dreier altungarischer Komitate besteht, nämlich Wieselburg (Moson), Ödenburg (Sopron), Eisenburg (Vas) und Preßburg (Bratislava). Die Ausläufer der Alpen prägen den hügeligeren Süden, der Neusiedler See den flachen Norden, der zur pannonischen Ebene, abgeleitet von der römischen Provinz Pannonia, gehört. Das ganze Jahr über herrscht mildes Klima, das den Wein- und Obstanbau begünstigt. Wir waren in Frauenkirchen in der St. Martins Lodge & Therme (Vier-Sterne-Superior-Resort, 150 Zimmer/Suiten, natürliches Ambiente, am Rand des Nationalparks Neusiedler See-Seewinkel, www.stmartins.at) untergebracht.
Info Burgenland II
Die Küche ist eine regionale mit wienerischen und südosteuropäischen Einflüssen. Burgenländer mögen Kraut-, Eintopf- und Gemüsesuppen, den mit Kartoffeln oder Bohnen zubereiteten Sterz, Gulaschvariationen mit viel Zwiebel, Knoblauch und Paprika sowie verschiedene Strudel. Was die Weine betrifft, werden vor allem Blaufränkischer, Chardonnay, Weißburgunder, Welschriesling und Zweigelt angebaut. An Lokalen und Restaurants können wir in Illmitz das „Presshaus“ (urgemütlich, regionale Küche, familiengeführt, www.presshaus.com), in Eisenstadt das „Henrici“ (modern, gegenüber Schloß Esterházy, pannonische Gerichte mit mediterranem Touch, www.henrici.at) und in Rust das „Hofgassl“ (burgenländisch, lauschiger Innenhof, www.hofgassl.at) empfehlen. Information: Burgenland Tourismus, Johann Permayer-Straße 13, A-7000 Eisenstadt, Telefon 0043-(0)-2682-633840, www.burgendland.info.
Service Auto
Mit dem Auto reist man von Deutschland aus am besten über Passau und dann weiter an Linz, Melk, Sankt Pölten und Wien vorbei an. Diese Strecke zieht sich. Bis ans Ziel Neusiedler See sind es gut 330 Kilometer. Für Autobahnen besteht Vignettenpflicht. In Orten dürfen Pkw und Wohnmobile 50, auf Freiland- und Schnellstraßen 100 und auf Autobahnen Tempo 130 fahren. Ähnlich der Schweiz ahndet das Nachbarland Überschreitungen streng. Die Promillegrenze liegt bei 0,5. Wiens Flughafen Schwechat ist nur etwa eine halbe Stunde vom Neusiedler See entfernt. Bahnreisende steigen ebenfalls in Wien um.
Burgenland-Trilogie
Lesen Sie im Reiseteil dieses Life-Magazins im Rahmen unserer Burgenland-Trilogie nach einem Besuch von Eisenstadt noch über Fürsten wie die Esterházys und Komponisten wie Haydn sowie über Rust, die Stadt der Störche und des Weins, wo unter anderem auch "Der Winzerkönig" gedreht worden ist.
KoCom/Fotos: Günther Koch/St. Martins Therme & Lodge
5. August 2016