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Blinklicht

"999"

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"Soll ich Sie mal zusammen mit dem Auto fotografieren?"

Netter Passant, der gesehen hat, dass wir Aufnahmen von einem sportlichen Testwagen gemacht haben. (gk)

"Geh' Ford"

Abgewandelter "Geh' fort"-Fernsehspruch von Heinz Becker/Gerd Dudenhöffer. (gk)

Alle vier

Audi & Allrad: 40 Jahre Quattro - jetzt auch sportlich-elektrisch ohne mechanische Verbindung

Von Günther Koch/Life-Magazin

Audis neue e-tron-Modelle fahren elektrisch mit modernstem Quattro-Antrieb vor. Fotos: Audi

Neuburg an der Donau – Ein Werbespot. 1990er-Jahre. Im hohen Norden. Ein Inuit-Vater stapft mit seinem Sohn durch eine verschneite Landschaft. Zeigt ihm, wie man Tierspuren liest. Erst vom Wolf. Dann vom Bär. Dann ist der Vater zu sehen, wie er sich über eine Reifenspur beugt, etwas Schnee in die Hand nimmt, ihn scheinbar prüft und dann langsam wieder zu Boden rieseln lässt. Dem Sohn sagt er nur zwei Worte. „Audi, Quattro“.

Hat was: Audis Quattro-Sportcoupé. Dieter Weidemann leitet die Allrad-Entwicklung.

Traktion, Sicherheit, Dynamik

Szenenwechsel. Neuburg an der Donau, Heinrichsheimstraße 200, Audi Driving Experience Center, Techniktag „40 Jahre Quattro“. Es geht um die Momentenverteilung auf Räder. Um ein technisch diesbezüglich breiter aufgefächertes Allradprogramm. Um mechanische Quattro-Technologien für Modelle mit längs eingebautem Frontmotor. Dazu um Sportdifferenziale für Spitzenmodelle. Um Quattro mit Lamellenkupplung in unterschiedlichen Ausführungen für Modelle mit Quermotor und den Sportwagen R8. Um selbstsperrende Mittendifferenziale, Quattro mit Ultra-Technologie und Quattro in der Elektromobilität. Um Traktion, Fahrsicherheit und Fahrdynamik. Und darum, sicherer bei winterlichen Straßenverhältnissen oder anderweitig etwa durch Regen, Schmutz oder Laub glatten Fahrbahnen unterwegs zu sein. Ja, an den Werbefilm mit dem Inuit-Vater und -Sohn muss auch Dieter Weidemann denken. „Audi ist eben Quattro“, sagt der antriebsseitig zuständige Entwicklungsleiter für Allradsysteme, „und Quattro ist Audi“. Wobei, räumt William Wijts ein, in Sachen Fahrwerk verantwortlicher Versuchsingenieur, Quattro technisch betrachtet nicht immer gleich Quattro sei.

William Wijts ist Versuchsingenieur in Sachen Fahrwerk. Der Ur-Quattro auf der Strecke.

Nur beim kleinen Enstiegs-A1 nicht

Seit 1980 bietet Volkswagens Ingolstädter Premiumtochtermarke den permanenten Allrad unter diesem, von Audi stets kleingeschriebenem Namen, italienisch für vier, an, sieht in ihm nicht nur eine „Schlüsseltechnologie“, sondern auch gleich einen „Trumpf der Marke“. Was auch diese Zahlen belegen mögen: Fast elf Millionen Allrad-Audi sind seit 1980 bereits produziert. Allein in den ersten Monaten 2020 schon wieder fast 500 000. Bis auf den Einstiegs-A1 ist Quattro in jeder Baureihe zu haben. Derzeit sind 32 Modelle bei uns damit auf dem Markt. Serie ist er in jedem S- und RS-Audi.

Im auffälligen Schwarz-Weiß-Lack: Auch der S3 Sportback ist mit Quattro-Antrieb unterwegs.

Ur-Straßenmodell mit Permanentallrad

Er steht draußen. Dunkelgrün. Baujahr 1982. Fünfzylinder-Turbo. 2,1 Liter Hubraum. 200 PS. Beschleunigung 7,1 Sekunden von 0 auf 100. 222 Stundenkilometer. Gebaut von 1980 bis 1991. Später sogar noch mit mehr Leistung und Ventilen. Wenigstens für ein paar Runden dürfen wir das Sportcoupé auf der Strecke des Fahrerlebniszentrums fahren. Den Ur-Quattro! In dem man, etwa wenn man lenken, schalten oder bremsen will, noch arbeiten muss. In dem einem nicht (fast) alles abgenommen wird. Der mit das erste in größeren Stückzahlen hergestellte Straßenfahrzeug mit Permanentallrad gewesen ist. Der von Anfang an dazu beigetragen hat, das Prinzip der vier angetriebenen Räder letztlich selbst über die Marke mit den vier Ringen hinaus durchzusetzen. Auch wenn bis heute mehr Gewicht und so mehr Verbrauch damit verbunden sind. Und doch ist es erstaunlich, was der Permanentallradler schon damals fahrdynamisch auf die Straße gebracht hat! Für Technik-Interessierte: Erst mit manuell sperrbarem, dann mit selbstsperrendem Mittendifferenzial,

Im ungewöhnlichen Grün: Der Permanentallrad verhilft ebenfalls dem RS5 zu besserer Traktion.

Die Meilensteine aktuell bis zu den e-ton

Danach verläuft die Allrad-Entwicklung bei Audi in Kurzform so: 1999: TT und A3 mit elektronisch gesteuerter hydraulischer Lamellenkupplung. 2005: Erstes selbstsperrendes Mittendifferenzial mit sportlicherer 40:60-Grundverteilung der Antriebskräfte zugunsten des Hecks. 2007: R8 mit Visco-Lamellenkupplung, die eingangsseitig in ihrem Inneren eine Drehbewegung über eine kreisförmige Scheibe an eine zähe Flüssigkeit überträgt, die sie schließlich wiederum an die Lamellen der Ausgangsseite abgibt. 2008: Sportdifferenzial für die Hinterachse. 2016: Quattro mit Ultra-Technologie für das jeweils effizienteste Modell einer Baureihe. Hinzu kommen Erfahrung und Erfolge im Motorsport. Und heute? „Gibt es eben keine mechanische Verbindung mehr, keine Kardanwelle mehr zur Übertragung des Drehmoments“, fasst Entwickler Weidemann zusammen. Denn seit 2019/2020 setzen die Ingolstädter bei ihren vier 313, 408 und 503 PS starken Elektro-SUV/Coupé-Modellen e-tron, e-tron Sportback, e-tron S und e-tron S Sportback bereits rein elektrischen Allrad und rein elektrisches Torque Vectoring, also die gezielte Momentenverteilung auf einzelne Räder, ein.

Bei einer Verschränkungsfahrt, hier im e-tron S, ist radselektive Momentenverteilung wichtig.

Für eine ideale Verteilung der Momente

Handling- und Dynamiktests im Fahrerlebniszentrum haben wir in den S3- und RS5-Quattros hinter uns. Die Ultra-Technologie probieren wir später auf der Straße im Quattro-A6-Kombi Avant aus. Vorher sind im Driving Experience Center noch Verschränkung und Dynamik mit den Quattro-e-tron dran. Deren zwei beziehungsweise drei Elektromotoren vorn und hinten machen den elektrischen Allrad sowie in jüngster Ausbaustufe das sogar gezielte elektrische Verteilen der Momente zwischen den Hinterrädern möglich. Es geht jeweils auch hier um bestmögliche Traktion und mit Sportdifferenzial um agileres Handling. Das System selbst regelt die ideale Momentenverteilung permanent und vollvariabel.

Elektro-Allrad und Elektro-Torque Vectoring machen das Fahrverhalten neutraler, präziser und agiler.

Über eine radselektive Steuerung

Wir fahren ruhig an. Mit Antrieb von hinten. Wir rufen beim Driften mehr Leistung ab. Die Maschine vorn schaltet sich automatisch zu. Meist vorausschauend, erläutert Versuchsingenieur Wijts, ehe bei Glätte oder schneller Kurvenfahrt Schlupf auftrete, das Auto unter- oder übersteuere. Der Charakter des Handlings ist über die Fahrwerksregelung in weiten Bereichen individuell einstellbar von kompromisslos-stabil bis sportlich. Die radselektive Momentensteuerung, in den e-tron statt in die Stabilitätskontrolle in die elektronische Fahrwerksplattform eingebaut und damit, so Wijts-Kollege Weidemann, erstmals Teil der Allradregelung, rundet das Handling durch elektronische Eingriffe ab. Sie ist auf Untergründen aller Art aktiv, bremst beim Quattro sogar beide kurveninneren Räder minimal ab, erhöht so das Antriebsmoment auf die kurvenäußeren Räder mit der höheren Radlast. Das Auto dreht sich in die Kurve ein, folgt genauer dem Lenkwinkel. Und das Resultat, so Weidemann, sei: „Das Fahrverhalten ist neutraler, deutlich präzises und agiler.“

Im A6 Avant haben wir Quattro mit Ultra-Technologie ganz normal auf der Straße erfahren.

Im roten 100 CS hoch hinaus

Ein Werbespot. 1980er-Jahre. In Finnland. Ein roter Audi 100 CS fährt bei Kaipola die Skisprungschanze hoch. Steigung 37,5 Grad. Für einen Moment, so scheint es, lugt im Schnee vor dem Wagen ein Stahlseil kurz hervor. Es soll, so heißt es, nur aus Sicherheitsgründen gespannt gewesen sein. Bei dem Audi hat es sich schließlich um einen Quattro gehandelt. Und der dürfte sich in der Regel durchaus selbst zu helfen wissen. Aus eigener Kraft.

KoCom/Fotos: Koch/Audi

2. November 2020